Risiko RED-S bei Ausdauersportlern

Wer als Ausdauersportler dauerhaft zu wenig Energie also Kalorien zu sich nimmt, läuft Gefahr, seine Trainingsbelastungen nicht mehr richtig zu „verdauen“. Was droht, ist ein sogenanntes RED-S-Syndrom, was sich zumeist in Form von gesundheitlichen Beschwerden und Leistungseinbußen äußert.

Was haben eine ausbleibende Morgenerektion mit einem Energiedefizit zu tun? Nein, jetzt folgt kein flacher Witz wie in vielen unserer JUNKMILES-Podcast-Folgen, sondern ein sehr ernstes Thema, das auch Männer angeht: das Relative-Energy-Deficiency-Syndrom; kurz: RED-S. Anders als noch vor Jahren kolportiert und als „Female Athlete Triad“ bekannt geworden, ist es eine Erkrankung, die beide Geschlechter betrifft – und ganz unabhängig vom Körpergewicht auftritt.

Ursächlich für ein solches RED-S sind zu viel Training gepaart mit einer dazu ins Verhältnis gesetzten unzureichenden Energieaufnahme. Wie letztere zustande kommt, ist für ein RED-S-Syndrom komplett unerheblich. Also, ob bewusst Kalorien minimiert werden, um Körpergewicht oder Körperfett zu reduzieren – oder ob, einfach schlichtweg gemessen am Trainingsload – Umfang und Intensität –unabsichtlich zu wenig gegessen wird. Entscheidend ist die Energieverfügbarkeit.

Die Ursache liegt in der niedrigen Energieverfügbarkeit

RED-S bezeichnet den Status, bei dem für essentielle Funktionen unseres Organismus zu wenig Energie verfügbar ist. Daher bezeichnen Wissenschaftler das auch als relatives Defizit der Energieverfügbarkeit und definieren dieses wie folgt: Zuallererst wird die Energie, die für den Sport benötigt wird, von der gesamten täglichen Energieverfügbarkeit abgezogen. Denn: Leistung zu erbringen kostet Energie. 150 Watt für eine Stunde Radfahren setzen circa 540 Kilokalorien um – egal an welchem Tag und unabhängig der vorherigen Energiezufuhr. Ein Tempodauerlauf mit einer Geschwindigkeit von 4:30 Minuten pro Kilometer benötigt 800 bis 1.200 Kilokalorien. Die sind verbraucht – unwiederbringlich.

Ziehen wir jetzt von unserer täglichen Energieaufnahme von angenommenen 2.500 Kilokalorien diese 800 bis 1.200 Kilokalorien fürs Laufen ab, verbleiben noch grob 1.500 Kilokalorien. Diese Restenergie wird als relative Energieverfügbarkeit (EA) bezeichnet und in kcal/kg fettfreier Körpermaße (FFM) ausgedrückt. Am Beispiel eines 75 kg gewichtigen Athleten mit einem Körperfettanteil von 15 %, sprächen wir von 63,8 kg fettfreier Masse und demnach einer Energieverfügbarkeit von 23,5 kcal/kg FFM.

Auf diese 1.500 Kilokalorien oder 23,5 kcal/kg FFM kann der Organismus dann zurückgreifen, um alle Stoffwechsel- und sonstigen Prozesse am „Laufen zu halten“. Dazu zählen neben der Aufrechterhaltung lebenswichtiger Maßnahmen auch die Thermoregulation, das zelluläres Wachstum sowie die Fähigkeit zur Reproduktion.
Risiko RED-S im Ausdauersport

Risiko Gewichtsreduktion & Wettkampfgewicht

Wer jetzt aber meint, er strebt die klassische Einsparung von 500 Kilokalorien pro Tag an, um abzunehmen, wie es oft kolportiert wird, dem verbleiben dann nur noch 1.000 Kilokalorien für all die Körperfunktionen übrig. Zu wenig? Das entscheidet unsere fettfreie Masse – sie ist nämlich der Gradmesser unserer Energieaufnahme.

Um Gewicht zu halten, empfiehlt die Wissenschaft einen Intake von 40 bis 45 Kilokalorien pro Kilogramm fettfreier Masse. Unter 35 Kilokalorien pro Kilogramm wird es dann grenzwertig. Wer abnehmen will, kann sich zwischen 30 und 35 Kilokalorien orientieren.

Natürlich ist es jetzt keine Tragödie, wenn man diese 40 bis 45 Kilokalorien pro Kilogramm fettfreier Masse an verfügbarer Energie an einem Tag mal nicht erreicht, weil man beispielsweise ein Rennen bestreitet oder das Essen zwischen den Trainingseinheiten zu kurz gekommen ist. Jedoch spielen schon nach drei Tagen mit geringer Energieverfügbarkeit die Hormone verrückt. Das merkt der Sportler beziehungsweise die Sportlerin nicht, dafür der Labormediziner, wenn er weiß, wonach er suchen soll.

Hält diese geringe Energieverfügbarkeit länger an, werden Wachstumsprozesse verlangsamt oder ganz gestoppt. Denn Energie sorgt nicht nur dafür, dass wir vorankommen im Sinne des Vortriebs zu Wasser und zu Lande. Energie, die wir über die Nahrung aufnehmen, sorgt auch für Wachstum und Reproduktion. Auch wenn wir Erwachsene nicht mehr wie Kinder im Wachstum sind, so müssen doch unsere Zellen, Muskeln sowie Knochen wachsen – nicht zu vergessen die Haare. Wir erneuern uns ja ständig.

Für all unsere Stoffwechselprozesse im Körper benötigen wir Energie. Ist zu wenig davon vorhanden beziehungsweise verfügbar, kann es zu gesundheitlichen Beschwerden kommen. Denn eine Restmenge an verfügbarer Energie behält sich der Körper als autonome Reserve für das Aufrechterhalten der basalen – sprich lebensnotwendigen – Körperfunktionen wie Atmung und Herzschlag vor.

Ausdauersportler besonders gefährdet

Wer glaubt, RED-S sei ein theoretisches Problem, sollte sich mit Experten darüber unterhalten. Im Hochleistungssport wird teils über Quoten von 60 Prozent gesprochen. Konservative Schätzungen, die den Hobbysport miteinschließen sprechen von 20 bis 30 Prozent in den so genannten Risikosportarten. Also Disziplinen, in denen das Gewicht eine Rolle spielt. Hier zählen natürlich Turnen genauso wie Tanzen dazu, aber eben auch Ausdauersportarten wie Radfahren, Triathlon und Laufen. Also Sportarten in denen das Gewicht in Relation zur Leistung steht. Zudem sind dies Disziplinen, bei denen viel Energie pro Stunde im Training umgesetzt wird.

Die Symptome sind mannigfaltig

 Also jede/r Dritte ist in den Risikosportarten möglicherweise davon betroffen. Doch welche gesundheitlichen Probleme bringt RED-S mit sich? Viele! Der Organismus fährt ganz einfach einige Funktionen herunter, wie zum Bespiele unsere Fortpflanzungsmöglichkeiten. Das lässt sich evolutionär begründen: Wer selbst schon für sich wenig Energie zur Verfügung hat, kann dann nicht auch noch für neues Leben sorgen. Bei Frauen äußerst sich das oft offensichtlich mit dem Ausbleiben der Monatsblutung.

Was vor Jahren viele Sportlerinnen noch als nettes Gimmick in der Wettkampfphase empfunden haben, bedeutet aber Alarmstufe Rot. Denn der Organismus verändert ja nicht nur der Fortpflanzungstrieb. Damit einher geht eine generelle Schwächung aufgrund eines veränderten Stoffwechsels und der damit verbundenen Hormonsituation. So kann der niedrige Östrogenspiegel, der verantwortlich für eine Amenorrhö ist, im weiteren auch Osteoporose und Stressfrakturen begünstigen.

Es gibt natürlich auch schon vorher Warnsignale, bevor die Regelblutung komplett ausbleibt, wie beispielsweise verkürzte Eisprungphasen. Bei Männern kommt es analog zu reduzierten Testosteronausschüttung, Verlust der Libido und möglicherweise der zu Beginn beschriebenen ausbleibenden Erektionsfähigkeit.

Welche möglichen gesundheitlichen Beschwerden noch auftreten können, haben Wissenschaftler in einem 2018 veröffentlichtes IOC-Konsensus-Paper publiziert.

Wir fassen diese für euch zusammen:

  • reduzierter Testosteronspiegel (Sportler)
  • reduzierter Östrogenspiegel (Sportlerinnen)
  • Veränderung von Ruhepuls und Blutdruck
  • geringe Libido
  • geschwächte Knochen und dadurch erhöhtes Risiko einer Stressfraktur
  • Menstruationsunregelmäßigkeiten
  • schlechte Laune / erhöhte Reizbarkeit
  • Immunfunktionsstörung
  • Schilddrüsenunterdrückung
  • Anstieg von Infektionen der oberen Atemwege und anderen Krankheiten
  • erhöhte Müdigkeit
  • Schlafstörungen
  • Verstopfung
  • erhöhter Cholesterinspiegel

Diagnose nicht immer einfach

Die oben aufgezählten Beschwerden sind aber nicht nur symptomatisch für RED-S, sondern auch für viele andere Erkrankungen. Daher ist es für Fachleute oft nicht leicht, überhaupt die richtige Diagnose zu stellen. Wer als Frau zum Gynäkologen geht und dort über „gestörte“ Monatsblutungen berichtet, bekommt sicher nicht sofort als Diagnose RED-S. Zurecht, denn solche Unregelmäßigkeiten können auch andere Ursachen haben. Hat der Mediziner allerdings andere Möglichkeiten für diese Beschwerden ausgeschlossen, liegt der Verdacht nahe, dass RED-S vorliegt. Allerdings ist die Awareness für RED-S bei Medizinern, Coaches, Physiotherapeuten und Co. noch nicht sonderlich groß.

Hier ist also bei Sportlerinnen beziehungsweise Sportlern eine gewisse Hartnäckigkeit und Detektivarbeit gefragt, um der Ursache auf den Grund zu gehen. Zudem vielfach noch der Begriff des Übertrainings – und dann zumeist fälschlicherweise – in den Ring geschmissen wird. Eine Studie mit Ausdauersportlern zeigt, dass nur bei 15 Prozent aller Athleten die Leistungsverluste oder Fatigue hatten, wirklich an OTS (Overtraining Syndrome) litten; die RED-S-Quote liegt hingegen deutlich höher.

Mehr zur Abgrenzung von Übertraining und RED-S in unserer JUNKMILES-Podcastfolge Nr. 71.

Jeder Athlet – ob Profi oder Hobbysportler – sollte seinen Körperfettanteil und Kalorienumsatz kennen

Wer wissen möchte, ob er auch davon betroffen sein könnte und all jene, die sich für das Thema Gewichtsmanagement interessieren, sollten das kalorische Buchführen in Erwägung ziehen. Sprich zu ermitteln, was zum einem am Tag an Kalorien überhaupt benötigt und zum anderen wahrahftig zugeführt wird. Letzteres gestaltet sich mit Food-Apps, Kalorientabellen und Etiketten auf Nahrungsmittel relativ einfach.

Um den eigenen Kalorienumsatz zu berechnen, bedarf es einiger Daten. Zuallererst sollte die eigene fettfreie Masse bestimmt werden, nach der sich der tägliche Kalorienbedarf richtet. Entweder lässt sich dieser Körperfettgehalt mittels Caliper (Fettmesszange) bestimmen oder aber mit einer sogenannten Bioimpedanz-Waage. Noch genauer erreicht man die Bestimmung per DEXA-Scan. Dies kostet aber einige hundert Euro und ist nicht zwingend notwendig. Hat man den Körperfettanteil bestimmt, lässt sich die fettfreie Masse mittels Dreisatzes errechnen.

Wir machen es hier exemplarisch einfach. Ein Sportler mit 75 Kilogramm und einem Körperfettanteil von 15 Prozent besitzt 63,8 Kilogramm fettfreie Masse.

Um sich im Sinne der Energieverfügbarkeit gesund zu ernähren und den Status Quo zu erhalten, sollte unser Sportler 40 bis 45 Kilokalorien pro Kilogramm fettfreie Masse pro Tag zu sich nehmen. Er hat also hochgerechnet 2.550 bis 2.870 Kilokalorien verfügbare Energie.

Wer trainiert, muss die während dieser Aktivität umgesetzte Energie zur eigentlichen täglichen Energiezufuhr addieren. Beim Radfahren lässt sich das ganz leicht ermitteln via Powermeter. Der zeigt nämlich den Leistungsumsatz in Kilojoule an und rechnet ihn zumeist auch gleich in Kilokalorien um. Wer solch ein Tool nicht besitzt, müsste schätzen. Je nach Intensität und Körpergewicht kann eine Stunde Radtraining im Grundlagenbereich zwischen 300 und 850 Kilokalorien umsetzen.

Keine Frage des Körpergewichts

Übrigens: ein Blick auf die Waage zur Ermittlung des reinen Körpergewichts hilft nicht, da der Organismus sich auf ein Energiedefizit einstellt – schlau wie er evolutionär ist.

Um damit können wir mit einem Mythos aufräumen: RED-S muss keineswegs grazile beziehungsweise leichte Athleten und Athletinnen betreffen. Während ein schwererer muskulöser Sportler darunter leiden kann, muss nicht zwingend eine feingliedrige schmale Athletin davon betroffen sein. Daher ist RED-S ein Thema, das jeden Sportler gleich welcher Gewichtsklasse, welchen Geschlechts und Alters angeht und dem demnach unbedingt Beachtung im Trainingsprozess geschenkt werden sollte.

Fotos: pixabay.com

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