Verwandlungskünstler Kohlenhydrate: vom Gel zum Vortrieb

Kohlenhydrate – sowohl in der breiten Masse als auch unter Sportlern polarisieren sie. Jeder weiß, dass sie das Super-Food sowie der Treibstoff für sportliche Höchstleistungen sind und bei Bewegungsmangel Dickmacher Nummer eins. Vielleicht doch nicht Jeder!

Der eine oder andere Lebensmittel-Multi verdammt immer noch das Fett und auch die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) tut sich schwer, Kohlenhydrate als Ursache für Adipositas klarer zu positionieren. Aber heute keine politischen Statements – ist ja schließlich keine Podcastfolge.

Doch wie viele Kohlenhydrate sollte man wirklich vor, während oder nach einer Einheit oder einem Wettkampf essen? Machen Slow- oder Fast- Carbs Sinn? Wann beziehungsweise sind überhaupt Ballaststoffe sinnvoll und ist es egal, ob wir verarbeitete oder unverarbeitete Kohlenhydrate essen sollen – über all diese Fragen zerbrechen wir uns den Kopf.

Kohlenhydrate im Training

Reise ins Innere: Speicherorte der Kohlenhydrate

Um aber überhaupt zu verstehen, wie unser Organismus mit Kohlenhydraten „umgeht“ – wir schreiben hier bewusst nicht verstoffwechselt – und nutzt, versuchen wir hier etwas Licht in das Innere unseres Körpers zu bringen.

An drei „Orten“ im Organismus lassen sich Kohlenhydrate finden. Als Glukose im Blut – bestens bekannt als der nüchtern gemessene Blutzucker beim Arzt. Essen oder trinken wir Kohlenhydrate, erhöht sich dieser. Daher 12 Stunden vorm „Aderlass“ nichts mehr essen und auf kohlenhydrathaltige Getränke verzichten. Das war jetzt der einzige medizinische Rat in diesem Blog – versprochen.

Doch setzen wir die Reise ins Innere unseres Körpers fort:  Die anderen beiden Speichermedien sind in der Leber und in der Muskulatur. Hier werden die Kohlenhydrate als Glykogen abgelegt. Wenn wir schon von Speicherformen sprechen – was haben die denn für ein Fassungsvermögen? Kommt darauf an! Denn deren Speicherkapazität ist abhängig von Größe, Geschlecht, Trainingszustand, Muskelanteil und der Kohlenhydratverfügbarkeit in der Ernährung.

In der Muskulatur kann man mal so als grobe Range 300 bis 600 Gramm ansetzen. Die Lebergröße kann ca. 2,5 Prozent des Körpergewichts betragen. Das bedeutet ein Einlagern von circa 350 Kilokalorien pro Kilogramm bei hoher Kohlenhydratverfügbarkeit.

Die Rechnung dazu: Bei 70 Kilogramm Körpergewicht würden davon maximal 1,75 Kilogramm auf das reine Gewicht der Leber entfallen. Und die wiederum könnte dann bei entsprechender Speicherkapazität etwa 150 Gramm Kohlenhydrate und damit umgerechnet 600 Kilokalorien speichern.

So richtig viel ist das alles zusammengerechnet nicht – weder fürs Rennen noch für viele beziehungsweise intensive Trainingseinheiten. Vor allem wenn wir davon ausgehen, dass die Speicher in Muskulatur und Leber, die meiste Zeit über nicht voll aufgeladen sind. Einzige Ausnahme an Tagen vor großen Wettkämpfen mittels Carboloading – aber die auch dann richtig vollzuladen, dazu kommen wir an anderer Stelle zu sprechen.

Zu allem „Unglück“ können wir auch gar nicht auf alle gänzlich zurückgreifen, denn das Glykogen in der Leber hat eine andere, überlebenswichtige Aufgabe. Es versorgt nämlich unser Gehirn und unsere Nervensystem mit Energie und wird daher nicht beziehungsweise nur zu einem sehr kleinen Teil für den Vortrieb genutzt. Was also als primäre Energieversorger übrigbleibt, sind Muskelglykogen und Blutzucker – oder?

Nicht ganz, denn unser Organismus ist, so stumpf er manchmal ist, auch klug. Er will das Muskelglykogen schützen und bedient sich vorrangig erstmal dem frei verfügbaren Zucker.

Kohlenhydratspeicher im Radsport und Triathlon

Ziel: Muskelglykogen schützen

Und hier die Take-Home-Message dazu: Unter dieser Prämisse ist es ziemlich unsinnig, in den ersten Rennstunden keine Kohlenhydrate zu sich zu nehmen, nur weil man denkt, es stünden ja genug in der Muskulatur bereit. Es geht ja gerade darum, diese zu schonen und erst gegen Ende „anzuknabbern“, respektive sich aus einem Mix aus exogenen (von außen zugeführt) und endogenen Kohlenhydraten zu bedienen. Denn nur mit den von über die Nahrung zugeführten, kommt während höheren Intensitäten nicht wirklich weit.

All das ist im Übrigen nicht nur für Wettkämpfe relevant – auch bei längeren intensiven Trainingseinheiten, Double-Trainings-Days oder im Trainingslager gilt es, regelmäßig unter Belastung nachzutanken. Denn auch an Trainingstagen ist es nie das Ziel, diese mit ganz „leeren“ Glykogenspeichern zu beenden. Erstens brummen dann meist die Beine beziehungsweise die gerade zur Fortbewegung eingesetzte Intensitäten. Denn nur dessen Muskelglykogen wird für den Vortrieb genutzt. Zweitens: So schnell wie es verbraucht wird, lässt sich das Glykogen auch gar nicht wieder aufladen.

Die Glykogenresyntheserate liegt bei gerade mal 5 Prozent in der Stunde. Das bedeutet: Lediglich 1/20 der über die Nahrung aufgenommenen Kohlenhydratmenge kann pro Stunde wieder in Glykogen umgewandelt und in der Muskulatur und Leber gespeichert werden. Also selbst wenn alles gut flutscht, dauert es bei vollständig entleerten Glykogenspeichern 20 Stunden bis der Ausgangszustand erreicht ist.

Kohlenhydrate in der Ernährung im Radsport und Triathlon

Kohlenhydrate auch während Low Carb-Training zuführen?

Wenn jetzt die eine oder der andere verwirrt sein mag, da er ja restriktiv mit Kohlenhydraten vor und während seines Low-Carb-Trainings umgehen soll, sei uns folgender Einschub gestattet:

Ja, es ist richtig, dass bestimmte Trainingsformen wie Low-Carb-Einheiten mit bereits angeknabberten Glykogenspeichern begonnen werden sollen. Und daher ist es auch richtig, vor der Einheit größtenteils für einen gewissen Zeitraum auf Kohlenhydrate zu verzichten beziehungsweise dann beispielsweise beim Frühstück nur sehr wenige – „low“ –, zu sich zu nehmen.

Mit steigender Belastungszeit aber macht es aber durchaus Sinn, Kohlenhydrate aufzunehmen, um sich nicht komplett leer zu fahren. Also bei einer Stunde auf der Rolle ist das noch nicht wichtig, aber wer vorhat, Low-Carb-Training länger als 90 Minuten zu absolvieren, darf doch schon nach der ersten halben bis Dreiviertelstunde Kohlenhydrate in niedriger Dosierung (20 bis 30 Gramm pro Stunde) zuführen. Auch hier kommt es neben der Belastungszeit auf die Intensität an, die wiederum den Energieverbrauch von Fetten und Kohlenhydraten bestimmt – und dieser ist selbst beim Grundlagen-1-Training nicht über die komplette Range identisch.

Nehmen wir nur als Beispiel den FATmax-Bereich: Selbst bei dieser maximal möglichen (absoluten) Fettoxidation, die sich von der Intensität her vielfach im oberen Grundlagen-1-Bereich befindet, werden Kohlenhydrate verstoffwechselt – und zwar gar nicht so wenige. Hier können trotz der vergleichsweise geringen Intensität schon in der Stunde 30 bis 60 Gramm Kohlenhydrate – je nach metabolischem Profil – verbraucht werden. Und der Verbrauch an Kohlenhydraten steigt ja weiter an. Erst langsam, dann aber gewaltig, ab der individuellen anaeroben Schwelle sogar exponentiell. Wer also sein Low-Carb-Training mit G2-Intervallen „garniert“, sollte dies im Blick haben.

Energieversorgung: Der lange und umständliche Weg der exogenen Kohlenhydrate

Wenn wir jetzt schon beim Verbrauch sind, noch ein kurzer Abstecher wie überhaupt, die Kohlenhydrate aufgenommen werden. Zuallererst gelangen diese nach dem Essen beziehungswese Trinken in den Magen-Darm-Trakt. Doch damit ist noch nichts gewonnen und der aufmerksame Hörer ist vielleicht der Satz aus Junkmiles-Folge 11 von Professor Karsten Köhler – Grüße an diese Stelle – noch in Erinnerung geblieben: „Das, was im Magen-Darm-Trakt ist, ist eigentlich noch gar nicht im Körper. Das ist außerhalb. In den Körper gelangt erst, wenn es den Magen-Darm-Trakt ohne Rumoren passiert hat und im Dünndarm landet“. Dort wird es resorbiert, ins Blut aufgenommen und verteilt. Und hier liegt der Hund begraben – so einfach ist diese Resorption eben gar nicht und ist von unglaublich vielen Faktoren abhängig. Vor allem gerade dann, wenn wir die Kohlenhydrate von „außen“ am nötigsten hätten, versagt das gastrointestinale System zum Teil. Das Blut wird an und in der arbeitenden Muskulatur gebraucht, um Sauerstoff und Nährstoffe anzuliefern, da bleibt nur noch wenig für die Verdauungsarbeit übrig. Übertrieben ausgedrückt, wird der Magen-Darm-Trakt in solchen Situationen weniger gut durchblutet.

Auf diese schlechte Nachricht folgt eine gute: Verdauung lässt sich üben. „Train the gut“ – der Gastrointestinaltrakt lässt sich, sowohl was Aufnahmekapazität als auch Verträglichkeit betrifft, trainieren. Doch dazu mehr an anderer Stelle.

Kohlenhydrate im Radsport und Triathlon

60, 90, 120 oder noch mehr Kohlenhydrate pro Stunde im Rennen

Allerdings, und hier ist sich die Wissenschaft momentan auch einig, gibt es hier Limitationen. Zuerst waren es 60 Gramm pro Stunde, die der Organismus resorbieren konnte. Dann unter Beimischung von Fructose im Verhältnis 1:2 zu Glukose auf 90 Gramm. Mittlerweile wird auch schon über Mengen weit über 100 Gramm diskutiert.

Eine aktuelle Studie hat gerade gezeigt, dass 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde – bei einem Verhältnis von Glukose zu Fructose von 1 zu 0,8 – zwar resorbiert werden, dies sich aber nicht auf die Oxidation der endogenen Kohlenhydrate auswirkt. Will heißen: Die Menge der zugeführten Kohlenhydrate wird zwar vertragen, aber es kommt nicht so in der Muskulatur an, dass die eigenen Glykogenspeicher verschont werden. Dem „Mann mit dem Hammer“ wird also ebensowenig zu entkommen sein, sollten sich die Glykogenspeicher auf ein kritisches Niveau leeren.

Bevor sich also Athleten, gleich welcher Couleur, Gedanken über höhere Kohlenhydratzufuhr als 90 Gramm machen, sollten sie zuallererst versuchen, 60 bis 90 Gramm pro Stunde dauerhaft zuführen zu können. Denn bei längeren Wettbewerben liegt hier genau die Schwierigkeit. Verständlich, denn es sind Massen an Gels, Riegeln, Energy Balls und kohlenhydrathaltigen Getränken. Wer einen Radmarathon in elf Stunden finisht, müsste also bei einer stündlichen Zufuhr von 90 Gramm Kohlenhydraten fast ein Kilo reinen Zucker aufnehmen. Oder in Gels gerechnet wären das, je nach deren Kohlenhydratgehalt, so um die 40 bis 50 Packungen. Eine ganz schöne Menge!

Dies allein unter Belastung essen zu können, sollte also erst einmal Ansporn genug sein. Wem das keine Beschwerden bereitet, der hat schon viel gewonnen und richtig gemacht.

In diesem Sinne – guten Appetit!

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